Ein Bericht von spiegel.de: Fachkraft auf Raten

Fachkraft auf Raten

Kann man Berufsausbildungen in kleine Bildungshäppchen aufteilen, um des Personalmangels Herr zu werden? Ein Weiterbildungsexperte sagt: Das ist der einzige sinnvolle Weg – und lohnt sich auch finanziell.

Es muss nicht jeder und jede alles können: So lässt sich eine Auswertung von 4,3 Millionen Online-Jobanzeigen für Hilfs- und Fachkraftstellen interpretieren, die die Bertelsmann Stiftung vorgenommen hat.

Für die Untersuchung wurden 27 verschiedene Berufe analysiert. Die Grundidee: Jeder Beruf besteht aus fünf bis sieben Kompetenzbereichen. Im Verkauf sind das unter anderem kassieren, warenwirtschaftliche Prozesse durchführen und beraten, bedienen und verkaufen. Würde man auch Menschen eine Chance geben, die nicht alle, aber immerhin zwei bis vier der gefragten Fähigkeiten abdecken, könnte ein Großteil der offenen Stellen besetzt werden.

Im Schnitt wurden in den untersuchten Stellenanzeigen nur drei Teilqualifikationen explizit gefordert; bei den Stellen für Hilfskräfte auch weniger. Besonders gefragt waren Fähigkeiten in Lager und Logistik, Verkauf, Büromanagement und Elektronik. So wurde »Waren versenden« in mehr als 450.000 Stellenanzeigen gesucht, »Bedienen, beraten und verkaufen« in mehr als 390.000, »Assistenz- und Sekretariatsaufgaben erledigen« in knapp 340.000 und »Elektrische Anlagen in Betrieb nehmen und instand halten« in knapp 180.000 Online-Jobanzeigen.

In jedem Berufsbild sind einige Fähigkeiten gefragter als andere: Bei »Elektroniker/-in Energie- & Gebäudetechnik« etwa »Elektroinstallationen vor- und nachbereiten«, »Elektrische Betriebsmittel montieren und installieren« und »Elektrische Anlagen in Betrieb nehmen und instand halten«. Alle drei werden jeweils in rund zwei Drittel aller für das Berufsmodell relevanten Stellen gesucht. Die übrigen drei Teilqualifikationen des Vollberufs kommen hingegen nur in einem kleinen Teil aller Stellen vor. Was besonders gefragt war, unterschied sich auch stark von Region zu Region – das bildet der »Jobmonitor« der Stiftung ab. Dort kann man gezielt schauen, was besonders gefragt ist. Im Büromanagement etwa waren Assistenz- und Sekretariatsaufgaben in den östlichen Bundesländern besonders gefragt, im Westen und Süden war im selben Berufsfeld die Planung von Einkaufsprozessen wichtiger.

Verwertbare Bausteine für den Arbeitsmarkt

Studienautor Martin Noack wirbt deshalb für eine »Modularisierung« der Ausbildungsinhalte für Erwachsende über 25 Jahren: Menschen mit Berufserfahrung, aber ohne Berufsabschluss ließen sich in mehrwöchigen Schulungen für Fachtätigkeiten qualifizieren. Er nennt ein Beispiel aus dem Einzelhandel: Es sei möglich, jemanden an die Kasse zu setzen, der sich nicht mit Lager und Logistik auskenne – und umgekehrt jemanden mit einer logistischen Teilqualifikation ausschließlich im Lager zu beschäftigen. »Die Teilqualifikationen sollen eine Brücke sein, solange wir nicht ausreichend Fachkräfte haben.«

Berufliche Teilqualifizierungen gibt es schon, allerdings fehle es, so Noack, noch an einer bundesweiten Vereinheitlichung. »Die mehrere Jahrzehnte alte Diskussion, wie man Berufe in sinnvolle Teile zuschneiden kann, kommt jetzt langsam auf die Zielgerade.«

Bereits mit ein oder zwei Schulungen könnten sich geringer Qualifizierte ein neues Arbeitsfeld erschließen und mit zwei weiteren für den größten Teil der Fachkraftstellen infrage kommen. Schritt für Schritt könne man sogar den vollwertigen Berufsabschluss nachholen.

Das lohne sich auch finanziell, heißt es in der Studie. Wer nach und nach alle Teilqualifikationen für einen Beruf erwerbe und dann mittels einer Externenprüfung einen vollen Berufsabschluss mache, verdiene fünf Jahre danach im Schnitt 600 Euro mehr im Monat. Dass das modulare System für den Arbeitsmarkt taugen kann, hatte die Bertelsmann Stiftung bereits 2020 in einer anderen Studie festgestellt.

Arbeitgeber können über das Qualifizierungschancengesetz Angestellte, die noch keinen formalen Bildungsabschluss haben, freistellen lassen und bekommen Arbeits- und Lehrgangskosten während der Qualifikation vom Staat ersetzt. Aber laut Noack scheuen sich viele davor. »Es fehlt noch viel an Aufklärungsarbeit, dass die langfristige Perspektive lohnt. Momentan sagen manche Betriebe, dass sie auf ihre Leute einfach nicht verzichten können, weil sie keine Vertretung finden. Aber so schreibt man das Problem fort, statt es anzugehen.«

Anmerkung der Redaktion: Wir haben die Passage über die vorgeschlagene »Modularisierung« präzisiert.

Quelle: spiegel.de von Maren Hoffmann

 

Zurück